Warum ich im Rhetoriktraining auf Videofeedback verzichte

 
 

Wenn du an deinem Auftritt, an deiner Kommunikation und Rhetorik feilen willst, ist eines besonders wichtig: Dass dir bewusst wird, was du in einer Kommunikationssituation machst und wie das auf andere wirkt. Wie du agierst, wie du sprichst und wie deine Körperhaltung in bestimmten Situationen ist.

Rund um Rhetorik- und Kommunikationstraining ist deswegen Feedback entscheidend. Unter Feedback verstehe ich strukturierte Rückmeldungen zu deinem Auftritt und deinem Sprechen. Wenn du eine Präsentation hältst, könnte ein Feedback etwa Beobachtungen zu deiner Gestik, zu deiner Sprechgeschwindigkeit und zu deinen Inhalten enthalten.

Gutes Feedback informiert dich darüber, was eine andere Person gesehen und/ oder gehört hat und wie das auf dein Gegenüber gewirkt hat.

Feedback verkleinert den ‘Blinden Fleck’.

Im Idealfall verkleinert gutes Feedback den sogenannten ‚Blinden Fleck‘. Der Blinde Fleck ist das, was andere an dir, deiner Performance und deinen Verhaltensweisen wahrnehmen – was dir selbst aber nicht bewusst ist. Genau an dieser Stelle wirkt Feedback am besten, weil es nicht-Bewusstes ins Bewusstsein holen kann.

Der ‚Blinde Fleck‘ ist übrigens Teil des sogenannten Johari-Fensters. Das ist ein Modell, das von den beiden Sozialpsychologen Joseph Luft und Harry Ingham entwickelt wurde: Die Kombination der beiden Vornamen wirkte dabei namensgebend für dieses Modell. Das Johari-Fenster besteht insgesamt aus 4 Feldern.

Die 4 Felder des Johari-Fensters: öffentlich, blind, geheim und unbekannt

Das ‚öffentliche Feld‘ des Johari-Fensters umfasst alles, was eine Person von sich preisgibt und was ihr selbst und auch anderen bekannt ist. Das können äußere Merkmale ebenso wie persönliche Eigenschaften oder besondere Verhaltensweisen sein.

Dann gibt es ein ‚geheimes Feld‘: Geheim ist alles, was dir selbst bekannt ist – was dir also bewusst ist, aber was du anderen nicht zugänglich machst. Weiters gibt es noch ein ‚unbekanntes Feld‘ – hier liegt alles, was weder dir selbst noch den anderen Personen bekannt ist.

Wirkung bewusst haben, um sie zu verändern

Rhetoriktraining zielt also immer auch darauf ab, den ‚blinden Fleck‘ zu verkleinern, um Verhaltensweisen und Wirkung bewusst zu machen und so ins ‚öffentliche Fenster‘ zu ziehen. Denn natürlich ist es z.B. nicht nur wichtig, dass andere wahrnehmen, dass du schnell sprichst – sondern dass du es auch weißt, die Wirkung auf andere kennst (‚wir verstehen dich nicht, wenn du so schnell sprichst …‘) und dann etwas an dem Verhalten verändern kannst.

Videofeedback ist eine Möglichkeit, um den ‘blinden Fleck’ zu verkleinern.

Eine Möglichkeit, um den ‚blinden Fleck‘ zu verkleinern und Wirkung bewusst zu machen, ist Videofeedback im Rhetoriktraining. Unter Videofeedback wird meistens verstanden, dass im Seminarraum eine Kamera aufgebaut wird, die dann z.B. während einer Übungssituation einen Vortrag oder ein Gespräch mitfilmt.

Danach wird während des Seminars diese Aufnahme abgespielt, sodass sich die Teilnehmer:innen ansehen können, was sie gerade gemacht haben. Oft passiert das im Stop-and-Go-Modus, wobei die Aufnahme immer wieder gestoppt und durch Kommentare (der Seminarleitung oder anderer Teilnehmer:innen) ergänzt wird.

Ich setze Videofeedback in meinen Seminaren und Einzeltrainings nicht ein.

Ich lese immer wieder Seminarbeschreibungen, die Videofeedback als einen Teil des Trainings ankündigen. Oder mich erreichen Anfragen, ob ich selbst Videofeedback im Rhetoriktraining verwende.

Meine Antwort ist dann: “Nein, das mache ich nicht.” Denn ich halte nichts von dieser Möglichkeit.

Vielleicht fragst du dich jetzt: „Warum machst du kein videogestütztes Feedback, wenn es doch sonst beim Rhetoriktraining vielerorts gang und gäbe ist?”

Ich denke, es gibt 4 gute Gründe, warum ich bei mir im Rhetoriktraining auf Videofeedback verzichte.

 

 1.      Ich kann genau beobachten und beschreiben.

Ich habe Theaterregie studiert und als Theaterregisseurin gearbeitet, bevor ich mich beruflich ganz auf meine Arbeit als Rhetoriktrainerin konzentriert habe.

Das Beobachten und Beschreiben war und ist also, gefühlt ‚immer schon‘, ein wichtiger Teil meines Tuns. Bei Proben am Theater sind verbale Rückmeldungen das wichtigste Mittel, um einen Probenprozess zu gestalten und weiterzuentwickeln.

Die Darsteller:innen probieren etwas aus – sie bekommen Rückmeldungen dazu in Bezug darauf, wie etwas von außen gewirkt hat und wie sie weitermachen könnten. Und dann probieren sie aufgrund des Feedbacks weiter aus. Schauspieler:innen und Regie sind also in einer dauerhaften, engen Feedbackschleife miteinander verbunden: Regisseur:innen am Theater sind so etwas wie der ‚Blick von außen‘.

Professioneller ‘Blick von außen’.

Genau diesen ‚Blick von außen‘ biete ich auch im Kommunikations- und Rhetoriktraining an. Wenn du im Training eine Präsentation hältst, dann beschreibe ich dir danach die verschiedensten Aspekte davon.

Ich gebe Feedback auf 3 unterschiedlichen Ebenen: Ich gehe auf deinen Körperausdruck ein und damit auf Gestik, Mimik, Blickkontakt und die Körperhaltung. Ich beschreibe dir, was durch Stimme und Sprechausdruck hörbar geworden ist: also z.B. die Stimmhöhe, das Sprechtempo, die Pausensetzung.

Ich beschreibe, was dich einen Schritt weiterbringt.

Und ich gehe auf die verbale, inhaltliche Ebene ein: Dazu schreibe ich sehr genau mit und gebe dir Rückmeldung dazu, was du wann wie gesagt – und wie es gewirkt hat.

Das mündliche Feedback ist direkt und auf deine Wirkung fokussiert. Und ich beschreibe dir vor allem Aspekte, die dich wirklich einen Schritt weiterbringen.

 

 2.    Du siehst und hörst dich normalerweise nicht von außen.

Hast du schon mal ein Foto von dir angesehen und gedacht: „Echt jetzt? So sehe ich aus? Kann ja wohl nicht wahr sein …“? Und warst dann total unzufrieden mit Dir? Oder hast Du ein zufällig auf einer Feier gemachtes Video gesehen und mochtest auf Anhieb nicht, wie du gehst/ lachst/ isst/ tanzt? Und hast du dann dieses Video jemand anderem gezeigt und aufgezählt, was du alles nicht an dir magst – und die andere Person hat all das nicht gesehen?

Den kritischsten Blick wirfst du selbst auf dich.

Wir alle tendieren dazu, überkritisch mit uns zu sein, wenn wir uns ‚von außen‘ sehen. Normalerweise erlebst du dich und dein Leben ja ‚von innen‘ – du siehst den anderen Leuten in deren Gesicht – und sie in deines. Du spürst deinen Körper, die anderen sehen ihn außen. Du hörst deine Stimme ganz anders, als alle anderen Menschen – weil du sie ‚von innen‘ und über den Raum außen hörst.

Kleinigkeiten, die den ‘inneren Kritiker’ auf die Palme bringen.

Wenn du dann Videoaufnahmen von dir siehst, noch dazu in einer stressigen rhetorischen Situation, bringt das möglicherweise den ‚inneren Kritiker‘ so richtig auf die Palme. Viele Leute fokussieren sich dann ungesund auf Kleinigkeiten (‚wie ich da den Finger abspreize‘ / ‚dieser schiefe Mundwinkel‘ / ‚meine Güte, lache ich wirklich so?‘) und nehmen das große Ganze nicht mehr wahr.

Oft braucht es erstmal einiges an Übung, Erfahrung und Großzügigkeit mit sich selbst, bis aus dem Videofeedback für den eigenen Blick wirklich Relevantes abgeleitet werden kann. Es braucht Zeit.

Und diese Zeit, finde ich, können wir im Training deutlich besser nutzen, als selbstkritisch über Videoaufnahmen zu brüten. Etwa, indem du eine Übung nach gezieltem Feedback einfach nochmal machst – und dein ‚inneres Gespür‘ für die Situation schärfst.

 

 3.    Direkte Beschreibungen sparen Zeit und fokussieren.

Mündliches Feedback spart Zeit und kann dich auf die Aspekte fokussieren, die dich wirklich weiterbringen. Es ist nämlich nicht wichtig, wie du ‚in dieser einen Videoaufnahme‘ warst – sondern dass du dich ganzheitlich weiterentwickelst.

Wirkungsvolles Feedback trifft eine Auswahl.

Auch umfasst wirkungsvolles rhetorisches Feedback nie alle überhaupt beschreibbaren Facetten einer Situation, sondern eine Auswahl. Idealerweise ausgewählt danach, was gerade wichtig ist und weiterentwickelt werden soll. Eine Videoaufnahme zeigt dir einfach alles – aber was hast du dann davon?

Neue Ansätze zum weiteren Ausprobieren.

Gutes mündliches Feedback beschreibt eine Situation so, dass du damit was anfangen kannst – und einen nächsten Ansatz hast, was du jetzt ausprobieren möchtest. Direkt und zeiteffizient.

 

4.    Weg von den Schwächen, hin zu den Stärken.

Niemand beurteilt dich selbst so kritisch wie du dich selbst. Oft ist es so: Wenn wir mit anderen so sprechen würden, wie wir innerlich mit uns selbst sprechen – ha, da wäre es ganz schön leer um uns.

Und Videofeedback triggert einfach bei vielen die eigene selbstkritische Seite. Plötzlich werden nur noch die Schwächen gesehen – alles das, was nicht da ist, nicht gekonnt wird, schon wieder falsch gemacht wurde.

Statt Schwächen ausmerzen - Stärken ausbauen!

Ich finde es nicht sinnvoll, der inneren selbstkritischen Stimme in einem Trainingsprozess so viel Raum zu geben. Es ist immer besser, Stärken auszubauen und bewusst zu machen, als vermeintliche Schwächen auszumerzen. Nach dem Motto: Mehr vom Guten!
Mehr von dem, was wirkt.
Mehr von dem, was leicht geht.

Natürlich ist es wichtig zu wissen, dass du während des Vortrags sehr herumgehibbelt bist und eine Hand dauerhaft in der Hosentasche steckte. Doch das lässt sich in 2 Sätzen beschreiben und muss nicht für 10 Minuten lang von dir nochmal angesehen werden.

Lass dir deine Stärken beschreiben.

Was noch dazu beschrieben werden kann: Die Begeisterung für dein Thema, die wirklich übergesprungen ist. Der durchgängige Blickkontakt, durch den sich das Publikum angesprochen und wahrgenommen gefühlt hat. Die Stimme, die auch noch in der letzten Reihe deutlich zu hören war und immer wieder deinen Sätzen einen Punkt gesetzt hat.

Worauf fokussierst du dich?

In der Rhetorik ist für Weiterentwicklung und Wachstum immer auch diese Frage wichtig: Worauf fokussierst du dich?

Auf all das, was gerade (noch nicht) klappt?

Oder auf das, was schon stark ist, was du mitbringst, was du gut kannst, wie der Funke von dir zum Publikum überspringt?

Statt eine Videoaufnahme minutiös und selbstkritisch zu sezieren, lass uns miteinander durch die ‚Stärkenbrille‘ auf dich und deine Kommunikationsweise schauen. So gelingt Entwicklung einfach leichter.

 

Du wirst die Kamera nicht vermissen.

Das waren meine 4 Gründe, warum ich im Rhetoriktraining auf Videofeedback verzichte. Mündliches Feedback und klare Beschreibungen sind direkt, zeitsparend (heißt: Mehr individuelle Trainingszeit) und fokussieren deutlich auf die Stärken.

Ein neuer Blick auf dich; von innen heraus.

Und ich kann dir versichern: In meinem Rhetoriktraining hat noch niemand jemals die Kamera vermisst.

Schließlich geht es nicht um den äußeren Blick auf dich, sondern darum, dass du deinen Körper, deine Stimme gut einsetzen kannst und deine Inhalte kompetent und engagiert vermittelst. Von innen heraus.