Vorgestellt: 10 Fragen an Marketingberaterin Alexandra Polunin

 
 

Alexandra Polunin ist mir, seitdem ich mich selbständig gemacht habe, im Internet immer wieder begegnet und ich habe sehr gerne ihre Blogartikel und Texte gelesen, sowie ihren Weg als Selbständige verfolgt. Begeistert haben mich dabei ihre Liebe zur Sprache und auch die klare Haltung etwa zu Marketing und Feminismus, die durch ihre Worte durchscheinen.

Alex unterstützt Selbständige dabei, online sichtbar zu werden - und zwar ohne Social Media. Ein Ansatz, den ich sehr mag und gut nachvollziehen kann, denn auch ich halte mittlerweile die Füße sehr still, was Social Media angeht - und fahre gut damit.

So ist die Idee zu diesem Interview entstanden - und ich freue mich sehr, dir hier nun Alex vorstellen zu können.

 
 

Liebe Alex, etwa seit Beginn meiner Selbständigkeit habe ich Dich im Internet ‚auf dem Schirm‘: Wir haben uns etwa zur gleichen Zeit selbständig gemacht – und seither hat sich bei uns beiden vieles entwickelt und verändert. Bitte erzähl kurz, wie und womit du damals gestartet bist – und nimm uns mit zu dem Punkt, an dem du heute mit deiner Selbständigkeit stehst. 

Gestartet bin ich 2015 mit einer nebenberuflichen Tätigkeit als Texterin und Lektorin. Ich habe damals in Linguistik promoviert, aber keine Finanzierung für mein Promotionsvorhaben bekommen. Irgendwann fing ich an, nebenbei zu texten und zu lektorieren, um besser über die Runden zu kommen. 

In diesem Zusammenhang entdeckte ich irgendwann Pinterest für mich. Pinterest war damals eine visuelle Suchmaschine und half mir dabei, Menschen auf meine Website zu bringen. Damals hatten noch kaum Selbstständige Pinterest als Marketingkanal auf dem Schirm, und so konnte ich mich 2017 als Beraterin für Pinterest-Marketing etablieren. 

Doch dann fing Pinterest 2019 an, personalisierte Werbung anzubieten, und änderte sich infolgedessen gewaltig. Es wurde immer mehr zu einem sozialen Netzwerk statt einer Suchmaschine – und ich fühlte mich als Marketingberaterin immer unwohler damit, Pinterest zu empfehlen.

Als dann Covid und damit der erste Lockdown 2020 kam, stellte ich alles, was ich in meiner Selbstständigkeit machte, in Frage. Ich merkte, dass mich die sozialen Medien überforderten, ja, richtig krank machten, weil die Menschen dort immer aggressiver und gehässiger wurden. Es ging sogar so weit, dass ich Kund*innen blockieren musste, weil ich es nicht ertragen konnte, wie sehr sie Falschmeldungen und Verschwörungstheorien verbreiteten. Im August 2020 hörte ich dann einfach auf zu posten und es passierte … nichts Schlimmes. Auch ohne Social Media fanden Menschen zu mir und wollten mit mir zusammenarbeiten. 

Ein Jahr später löschte ich nicht nur meine Kanäle, sondern beschloss, mich thematisch neu zu orientieren und andere Selbstständige ebenfalls bei ihrem Social-Media-freien Marketing zu unterstützen. 

 

Egal, ob Facebook, Instagram oder LinkedIn: Die meisten Leute, mit denen ich darüber spreche, betrachten Social Media wenig freudvoll, sondern eher als ‚notwendiges Übel‘. Manche entwickeln sogar einen regelrechten Widerstand dagegen – und treiben sich dennoch weiter auf den Plattformen rum. Motto: Gehört einfach dazu. Was kannst du diesen Menschen sagen, das Mut macht, es im beruflichen Kontext auch ‚ohne‘ zu probieren? 

Ich glaube, es ist zunächst einmal wichtig, die Hintergründe zu verstehen. 

Woher kommt die Überzeugung, dass wir Social Media brauchen? Von Marketingberater*innen.

Und die Marketingsberater*innen, die das behaupten, haben in der Regel ja ein wirtschaftliches Interesse. Sie sagen nicht nur: „Du musst auf Instagram sein, wenn du selbstständig bist.“ Sie sagen: „Du musst auf Instagram sein, wenn du selbstständig bist – und hier ist mein Onlineprogramm, bei dem ich dir dabei helfe.“

Wir nennen das heutzutage „Content Marketing“. Um unsere Dienstleistungen oder Produkte zu verkaufen, erstellen wir „Content mit Mehrwert“ und erzählen, dass Instagram wichtig ist, wie wir es am besten nutzen, was unsere Geheimtricks sind etc. 

Der „snackable Content“ auf Social Media führt zusätzlich dazu, dass die Aussagen zu Social Media meist viel zu überspitzt, allgemein und undifferenziert ausfallen. Klar, wenn wir nur 30 Sekunden Zeit für ein Reel haben, sprechen wir in der Regel nicht über mögliche Ausnahmen und Zweifelsfälle.

Als Nutzer*innen lesen wir das dann, interagieren mit diesem Content und Instagram zeigt uns noch viel mehr Content dieser Art an. Irgendwann lesen wir nur noch in unseren Feeds „Du brauchst Instagram, wenn du selbstständig bist – hier ist mein Kurs“ und glauben, dass es eben nicht anders geht.

Doch das stimmt so nicht.

Ich will dem Ganzen jetzt nicht ein ebenso undifferenziertes „Das Gegenteil ist wahr.“ entgegensetzen, sondern Menschen dazu ermuntern, das für sich selbst zu entscheiden. Ja, es gibt Menschen, die vermutlich nicht ohne Social Media auskommen werden, weil soziale Medien, sagen wir mal, zur Berufsbeschreibung gehören. Ich denke da an Influencer*innen, aber auch an Journalist*innen oder Social-Media-Berater*innen. 

Doch für alle anderen geht es ja eher darum, online gefunden zu werden, mit Menschen ins Gespräch zu kommen und Vertrauen aufzubauen. Das kann mit Social Media geschehen, aber auch mit Website, Blog, Newsletter, Podcast oder Gastbeiträgen und Interviews. Da gibt es so viele Möglichkeiten, wie es Menschen gibt.

Das Spannende ist: Seit ich nicht mehr auf Social Media bin, begegne ich immer öfter Menschen, die kaum oder keine soziale Medien nutzen und dennoch Kund*innen für ihre Dienstleistungen finden. 

Nur: Solange wir im Kaninchenbau Social Media sind, sehen wir diese „Gegenbeweise“ überhaupt nicht.

 

Aus deinen Texten spricht so eine Liebe zur Sprache und zu Worten: Was hat dir geholfen, deine ‚Schreibstimme‘ zu entwickeln und was kannst du anderen für ihre eigene Entwicklung dahin mitgeben? 

Witzig, ich würde von mir sagen, dass ich meine Schreibstimme immer noch suche.😜 Aber vermutlich ist dieser Prozess einfach nie abgeschlossen.

Ich glaube, seine eigene Schreibstimme zu entwickeln, ist gleichzeitig leicht und schwer: 

Leicht, weil man dazu vermutlich nichts anderes machen muss, als viel zu lesen und viel zu schreiben.

Und schwer, weil es nicht immer so leicht umsetzbar ist, viel zu lesen und viel zu schreiben.

Wobei ich beim Lesen noch ein bisschen einhaken möchte. Ich lese alles, was mir zwischen die Finger kommt: feministische Bücher und Groschenromane, Gedichte und Blogartikel – aber ich versuche, den Input aus meinem Bereich zu minimieren. 

Ich bleibe natürlich informiert und bilde mich gerne weiter, doch mit dem Weggang aus Social Media habe ich mit dieser ständigen Flut an „Inspiration“, Tipps und Anleitungen aufgehört.

Mir ist nämlich aufgefallen, dass ich unbewusst die Themen und Worte der anderen übernehme. Und so habe ich irgendwann angefangen, von „Sales Funnels“ und „Leads“ zu sprechen, obwohl diese Begriffe überhaupt nicht meinem Verständnis von Marketing und Menschen entsprechen.

Ich glaube: Wenn wir immer nur konsumieren, konsumieren, konsumieren, überdecken wir irgendwann unsere Gedanken und Worte mit den Gedanken und Worten von anderen. Und dann schreiben wir auch Texte, die nicht nach uns klingen.

 

Schreiben ist so ein großer Bestandteil deines Business. Welche Bedeutung hat im Gegensatz dazu das Sprechen über dich und dein Unternehmen? Inwieweit erlebst du diesen Prozess des ‚mündlichen Kommunizierens‘ für dich anders? 

Ich spreche super gerne mit Menschen und liebe zum Beispiel Podcastinterviews. Wenn ich in einen Podcast eingeladen werde, muss ich meist nicht lange überlegen und sage sofort zu. Nach ein, zwei Minuten entspanne ich mich und blende es mehr oder weniger aus, dass wir aufzeichnen. Ein Gespräch zu zweit ist – sowohl privat als auch beruflich – etwas Schönes für mich.

Abgesehen davon empfinde ich mündliche Kommunikation eher als stressig. Auf der Bühne zu stehen und vor anderen Menschen zu reden, ist definitiv nicht meins. Auch auf großen Netzwerkveranstaltungen sucht man mich vergebens. 

Ich könnte das alles natürlich üben, doch ich will nicht.😆 Zumindest momentan nicht. Stattdessen möchte ich all meine Zeit und Energie ins Schreiben stecken.

Auf dem Papier kann ich mich am besten ausdrücken und mutig sein. Aber wer weiß, vielleicht entdecke ich noch das Sprechen vor Publikum irgendwann für mich. 

 

Meiner Erfahrung nach haben viele Selbständige, und ich nehme mich da gar nicht aus, gerade am Anfang eine ‚Sichtbarkeitsangst‘: Es kann beängstigend sein, plötzlich mit der eigenen Website, dem eigenen Angebot ‚da draußen‘, im Internet, sichtbar zu sein. Was ist dein Tipp gegen diese Angst, sichtbar und hörbar zu werden – und welche Rolle spielt dein Marketingansatz dabei? 

Ich bin inzwischen bei diesem Thema äußerst vorsichtig, denn in den letzten Jahren habe ich die verschiedensten Geschichten erlebt und gehört.

Im Idealfall liegt dem Ganzen ein „Missverständnis“ zugrunde. Viele denken: Sie stellen ihre Website online oder legen ihr Profil auf Instagram an – und schwupps können sie sich vor Kommentaren und Anfragen nicht retten. Das stimmt natürlich nicht, sonst würde es keine Marketingberater*innen geben.😄

Inzwischen ist es aber auch herausfordernder, online sichtbar zu sein – nicht nur gefühlt, sondern auch faktisch. So steigen Hate Speech und Cybermobbing schon seit Jahren. 

Erst neulich habe ich von einer bekannten Influencerin gelesen, dass sie extra einen Coach beauftragt hat, der ihr dabei hilft, mit den Hasskommentaren in den sozialen Medien umzugehen. Das finde ich unfassbar. Natürlich ist es gut, dass sich Menschen Unterstützung holen – doch dass das inzwischen überhaupt notwendig ist, macht mich wieder ein Stückchen pessimistischer, was soziale Medien angeht.

Ich würde Selbstständigen deshalb zunächst raten, sich gute Onlineorte zu suchen. Orte, an denen sie sich sicher und wohl fühlen. Wenn das nicht soziale Medien sind, könnte es ein eigener Blog, ein Podcast oder ein Newsletter sein. 

Und wenn dieser gute Ort gefunden ist, ist es wichtig, sich Zeit zum Üben und Ausprobieren und Lernen zu lassen und nicht auf diese „sechsstellig in einem Jahr“-Mär einzusteigen. Dieses „Dream Big“ setzt viele unnötig unter Druck und kann dazu führen, dass man regelrecht „erstarrt“ – Perfektionismus und kreative Blockaden inklusive. 

Manchmal liegen der „Sichtbarkeitsangst“ aber auch ernstere Dinge zugrunde, z.B. Traumata oder eine psychische Erkrankung. Ich finde es als Marketingberaterin wichtig, sensibel dafür zu sein und zu wissen, wo die Grenzen der Marketingberatung liegen. 

 

Ich erlebe oft, dass Menschen sagen: ‚Ich muss einfach lernen, mich besser zu verkaufen!‘ Du beschäftigst dich mit ‚Marketing ohne Social Media, Psychotricks und dem üblichen Marketing-Blabla‘. Was genau ist für dich gutes und wirkungsvolles Selbstmarketing? 

Wir leben in einer Welt, in der wir Geld brauchen, um zu überleben, und das ist auch erst einmal in Ordnung.

Deshalb muss Marketing natürlich wirkungsvoll sein – in dem Sinne, dass es mich sichtbar macht und Verbindung zu potentiellen Kund*innen herstellt und im besten Falle verkauft.

Ich finde aber, dass Marketing nie so weit gehen darf, dass Wachstum der alleinige Wert ist, nach dem wir uns richten, und wir „um jeden Preis“ verkaufen müssen. 

Und damit wären wir bei dem „guten“ Selbstmarketing, von dem du sprichst. Gutes Marketing ist für mich an andere Werte als nur Wachstum geknüpft. Gutes Marketing ist menschlich und stellt Menschen vor Zahlen. Gutes Marketing trägt zu Gesundheit, Frieden und Vielfalt bei und nicht zu Zerstörung, Hass oder Angst. Gutes Marketing ist für mich das Gegenteil von „toxischem Marketing“ und das kann für mich nur ethisches Marketing sein.

 

In einem sehr schönen Blogartikel von dir schreibst du über Marketing ohne Manipulation, Druck und Psychotricks: Und ich kann es so gut nachvollziehen. Immer wieder scheint auf deiner Website auch das Thema ‚Werte‘ durch: Was sind deine höchsten 3 Werte rund um dein Unternehmen – und was bedeuten sie für dich? 

Das Allerwichtigste ist für mich Integrität. Das heißt, dass es eine maximale Überschneidung zwischen meinen Handlungen und meinen Werten gibt. Wenn ich gegen meine Überzeugungen, gegen mein Bauchgefühl, gegen meine „innere Stimme“ handle, geht es mir nicht gut, ich werde regelrecht krank. 

Daher kam 2020 auch die Abkehr von Social Media. Ich konnte nach meiner Erkenntnis, dass die sozialen Medien mir nicht gut tun, nicht mehr so tun, als wäre alles in Butter und weiterhin munter in Reels tanzen.

Natürlich bin ich nicht zu 100% integer (vermutlich kann das kein Mensch realistischerweise sein), doch ich reflektiere das, was ich tue, kontinuierlich, und passe an.

Neben der Integrität ist Autonomie ein wichtiger Wert für mich. Zum einen gestalte ich meine Selbstständigkeit so, dass ich möglichst viel selbst bestimmen und entscheiden kann. (Auf Social Media zum Beispiel habe ich mich durch die sich immer ändernden Algorithmen fremdbestimmt gefühlt.)

Zum anderen möchte ich auch die Autonomie der Menschen, die auf meine Website kommen, wertschätzen. Deshalb arbeite ich in meinem Marketing auch nicht mit Verknappung, FOMO oder personalisierter Werbung. 

Und schließlich ist mir Menschlichkeit wichtig. Meine Menschlichkeit und natürlich die Menschlichkeit derjenigen, die ich mit meinem Marketing erreiche. Ich möchte diese Menschen nicht als Zahlen wahrnehmen und sie auch nicht durch einen Verkaufstrichter jagen, sondern ihnen auf Augenhöhe begegnen: von Mensch zu Mensch.

 

‚Achtsamkeit‘ bedeutet mir, auch aus meiner eigenen Meditationspraxis heraus, sehr viel. Dennoch benutze ich diesen Begriff rund um mein Business nicht – auch, weil er im Onlinebusiness-Kontext manchmal inflationär und tendenziell sinnentleert verwendet wird. Was bedeutet es für dich, im Business-Kontext achtsam zu sein? 

Für mich bedeutet Achtsamkeit in erster Linie beobachten, ohne zu bewerten. Sowohl privat als auch beruflich.

Das heißt, ich nehme wahr, was ist, und lasse jedes Bedürfnis, jedes Gefühl, jeden Gedanken erst einmal zu. In einem beruflichen Kontext könnte das heißen: Ich nehme wahr, dass ich nicht auf Instagram sein will, und lasse es zu. Ich sträube mich nicht dagegen, ich mache mich deswegen nicht fertig, ich zwinge mich nicht – ich akzeptiere es. 

Für mich ist Achtsamkeit, wenn man so will, der Ausgangspunkt für einen wertschätzenden Umgang mit sich selbst und eine selbstbestimmte Selbstständigkeit. 

Mein Konzept der Achtsamkeit beruht auf der Gewaltfreien Kommunikation nach Marshall B. Rosenberg und damit letztlich auf Carl Rogers und der Humanistischen Psychologie. 

Mit der esoterischen Interpretation der Achtsamkeit kann ich persönlich nichts anfangen bzw. finde sie teilweise sogar problematisch. Zum Beispiel mag ich es gar nicht, wenn mir ein männlicher Achtsamkeitscoach erzählt, dass ich doch bitte schön das Geschirrspülen als meditative Praxis sehen und mich nicht so darüber aufregen soll. Wer die Belastung der Frauen derart bagatellisiert, trivialisiert oder gar negiert, instrumentalisiert Achtsamkeit, um die ausbeuterischen, erschöpfenden Strukturen aufrechtzuerhalten.

Ähnlich verhält es sich inzwischen auch in Großkonzernen, die ihren Mitarbeitenden Achtsamkeitsseminare anbieten. Problematisch wird es vor allem dann, wenn Konzerne eine toxische Unternehmenskultur haben, ihre Belegschaft aber zum Meditieren schicken, statt etwas an den Strukturen zu ändern.

Es gibt inzwischen ja den Begriff „Spiritual Bypassing“, der vom Psychologen John Welwood 1984 eingeführt wurde. Der Begriff beschreibt, dass unangenehme Gefühle, Nachrichten oder Ungerechtigkeiten durch spirituelle Übungen „umgangen“ werden. Sprich: Wir kümmern uns nicht um das, was schief läuft, und atmen unseren Ärger lieber weg. So verändert sich langfristig aber leider nichts und die Probleme bleiben weiterhin bestehen. 

Deshalb kann ich deine Skepsis, was den Achtsamkeitsbegriff angeht, verstehen, unterstreichen und mit Ausrufezeichen versehen. 

Ich mag die Achtsamkeit, die uns dabei hilft, in Verbindung mit uns zu gehen und unsere Bedürfnisse, Gefühle und Gedanken wertfrei anzunehmen. Das kann der Anfang dafür sein, dass wir besser für uns sorgen, dass wir uns mehr Pausen und Schlaf gönnen und uns den Anforderungen, die die patriarchale Leistungsgesellschaft an uns stellt, entsagen. Es kann sogar dazu führen, dass wir uns auf Ursachenforschung begeben, Ungerechtigkeiten ansprechen und Veränderungen anstoßen. In diesem Sinne kann Achtsamkeit (samt ihrer Werkzeuge wie Meditation oder Yoga) ein Konzept sein, das feministische Anliegen stärkt – weil es Frauen stärkt und sie (wieder) in ihre Kraft bringt. 

 

In einem wirklich lesenswerten, sehr plastischen Blogartikel schreibst du über die ‚Dunkle Seite des Female Empowerments‘. Wenn wir es einmal umdrehen: Was sind deine 3 liebsten Ansätze, um Frauen (gesellschaftlich oder mit deiner Arbeit) zu stärken? 

Die meisten Frauen eint der Glaube, dass sie nicht gut genug sind. Fürs Schreiben, fürs Marketing, für die Selbstständigkeit, für was auch immer. 

Diese Überzeugung wird ja auch durch konventionelles Marketing eingepflanzt und verstärkt: Erst wird künstlich ein Bedarf kreiert, dann wird schön in den Pain Points rumgewühlt, um dann als Lösung ein hochpreisiges Produkt anzubieten. Frauen wird damit suggeriert: „Du bist nicht gut genug, aber du könntest es sein – wenn du dieses Produkt kaufst.“ 

Das finde ich so grausam. Der erste wichtige Grundsatz in meiner Arbeit ist für mich deshalb, Frauen und ihren Glauben in ihre Fähigkeiten zu stärken. 

Deshalb achte ich in meinem Marketing sehr auf die Botschaften, die ich verbreite. Wenn ich über ein Angebot von mir spreche, achte ich z.B. darauf, dass ich es nur als eine Möglichkeit von vielen präsentiere. Für Social-Media-freies Marketing zum Beispiel gibt es kein Geheimrezept, sondern grundsätzlich viele Möglichkeiten. Ich decke lediglich die „schreibenden“ Strategien ab (wie Website, Blog und Newsletter). Nicht mehr und nicht weniger. Natürlich gäbe es auch noch Podcasts, Videos, Netzwerken … Doch dann verweise ich die Menschen, die zu mir kommen, lieber an Kolleginnen.

Und in meinen Beratungen frage ich, wenn ich nach Einschätzungen gefragt werde, meistens zuerst „Was denkst denn du?“, „Was willst du denn du?“ oder „Findest du das auch gut?“, bevor ich meine Einschätzung gebe. 

Viele Frauen sind erst einmal irritiert. Aber ich möchte einen Beitrag dazu leisten, dass Frauen wieder Expertinnen für ihr eigenes Leben werden und mutig ihren Weg gehen.

Ein nächster wichtiger Grundsatz ist für mich, gesellschaftliche Teilhabe zu ermöglichen. Dafür kalkuliere ich meine Preise nach bestem Wissen und Gewissen und habe Angebote in verschiedenen Preissegmenten.

Falls sich jemand die Einmalzahlung nicht leisten kann, biete ich Ratenzahlungen ohne Mehrkosten an. Das habe ich früher nicht gemacht, weil ich mich so für den buchhalterischen Mehraufwand und möglichen Zahlungsausfall absichern wollte. Doch irgendwann ist mir wie Schuppen von den Augen gefallen: Wer Ratenzahlungen grundsätzlich nur mit Aufpreis anbietet, „bestraft“ Menschen mit weniger finanziellen Ressourcen noch zusätzlich. Das steht dann manchmal sogar in krassestem Gegensatz dazu, dass Onlineunternehmer*innen öffentlichswirksam viel und oft spenden …

Und schließlich ist es mir wichtig, ein Netzwerk von Frauen aufzubauen. Deshalb interviewe, empfehle, verlinke und vernetze ich Frauen immer großzügig und von ganzem Herzen. 

 

Einen exemplarischen Satz rund um deine Newsletter-Anmeldung habe ich besonders gefeiert: ‚Überleg es dir aber gut, in meinen E-Mails wird gegendert!‘ Leider wird ja kaum etwas Sprachliches so kontrovers diskutiert wie das Gendern. Für dich als Viel-Schreibende: Was bedeutet dir das Gendern und wie genderst du am liebsten? Was kannst du Menschen mitgeben, die dem Gendern beim Schreiben gegenüber noch unentschlossen oder unerfahren damit sind?  

Wir können das Thema Gendern grundsätzlich aus verschiedenen Perspektiven betrachten: aus einer ästhetischen, einer sprachlichen, einer ethischen, einer kreativen …

Für mich persönlich spielt der ethische Aspekt die wichtigste Rolle und deshalb geht es für mich bei dem Thema „Gendern – ja oder nein?“ letztlich um eine einzige Frage: 

Möchte ich mit meinen Texten einen Beitrag zu Vielfalt und Inklusion leisten? Oder zu Ausgrenzung und Diskriminierung?

Mir ist es wichtig, dass sich möglichst viele Menschen in meinen Texten wiederfinden – deshalb versuche ich in meinen Texten, möglichst viele Menschen einzuschließen. 

Ich sage bewusst „möglichst viele“, weil ich natürlich nie sicher sein kann, dass es mir perfekt gelingt. Doch ich finde nicht, dass es hier auf Perfektion ankommt. Beim Gendern halte ich es wie beim Klimaschutz: 

Wir brauchen nicht wenige Menschen, die es perfekt machen, sondern ganz, ganz viele, die es unperfekt machen. 

Neulich habe ich irgendwo auf einer Website sinngemäß gelesen: „Ich gebe mir Mühe mit dem Gendern, aber es klappt noch nicht perfekt.“ Sowas finde ich ja total sympathisch. Da ist ein Mensch, der sich Gedanken macht und sein Bestes gibt. Das ist doch schon die halbe Miete.

Am liebsten nutze ich beim Gendern neutrale Formen oder verwende das Wort „Menschen“. (Ich finde: Wir sollten uns im Marketing viel öfter der bewusst machen, dass wir es mit Menschen zu tun haben.) Wenn das nicht geht, nutze ich auf meiner Website den Doppelpunkt. Viele finden das „unschön“ und „zu kompliziert“, und das mag sicherlich so sein. Doch für mich ist diese ästhetische Ebene, wie gesagt, viel unwichtiger als die ethische. Als Germanistin bin ich mit dem Sprachwandel vertraut und weiß, dass sich Sprache schon immer verändert hat und sich auch in Zukunft verändern wird. Vielleicht werden wir in Zukunft andere – schönere – Formen finden. Oder unser Geschmack, was als „schön“ gilt, wird sich verändern. Wer weiß.

Solange wir mitten in diesem Sprachwandel sind, wünsche ich uns allen einen spielerischen, kreativen Umgang mit dem Thema. Ich sehe es an meinen Kindern: Sie sind 15 und 11 Jahre und sind dem Gendern ganz unvoreingenommen begegnet. Und jetzt sprechen sie ganz selbstverständlich die Genderpause und korrigieren uns, wenn wir sie mal vergessen.😊  

 

Vielen Dank für das Interview, liebe Alex!