Wie du aufhörst, das Füllwort ‘genau’ zu verwenden

 
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Wenn es um Füllwörter beim Sprechen geht, dann denken viele von uns sicher sofort an die absoluten ‚Klassiker‘: ähm, sozusagen, irgendwie, eigentlich. Jede Person hat ihre ‚Lieblinge‘, mit denen sie ihre Sätze spickt.

Ein wirklicher Spitzenreiter bei den Füllwörtern ist ein Wörtchen, das eher am Ende als zwischendrin zu finden ist. Es handelt sich dabei um das Wort ‚genau‘.

Die meisten Füllwörter werden in einem Satz verwendet, um Aussagen abzuschwächen oder einem Gedanken ‚mehr Volumen‘ zu verschaffen. Das hört sich dann so an: „Das sind eigentlich die 4 Maßnahmen, die ich Ihnen dazu vorstellen wollte.“

Oder: „Wir möchten sozusagen flexible Arbeitszeiten einführen, damit alle irgendwie freier bestimmen können, wann sie ihren Tag beginnen und beenden wollen.“

Du merkst: Diese Füllwörter verstecken sich inmitten des Satzes. Übrigens habe ich einen Blogartikel darüber geschrieben, wie du durch Achtsamkeit Füllwörter beim Sprechen reduzieren kannst. Achtsame Rhetorik-Übung: So wirst du Füllwörter los

 

Das Füllsel ‘genau’ erklingt am Ende eines Satzes.

Mit dem Wörtchen ‚genau‘ verhält es sich etwas anders: Es wird ans Ende eines Satzes oder eines Gedankenbogens gesetzt. Oft erklingt es auch in der Mitte zwischen zwei sehr sehr sehr langen Sätzen, die nur durch das Füllwort ‚genau‘ voneinander abgetrennt sind.

„Ich habe mir das jetzt durchgerechnet, und es schaut so aus, dass wir durch diese Maßnahme 30% einsparen können, genau …“

„Wir werden das Haus komplett renovieren und die Rundbögen werden wir alle entfernen, genau, denn die Rundbögen gefallen uns eigentlich überhaupt nicht und werde durch normale Türen ersetzt, genau.“

‚Genau‘ rutscht also an die Stelle, wo zwischen Haupt- und Nebensatz eine kurze Pause entstehen könnte oder wo der Satz eigentlich zu Ende ist. In diesem Fall schreibe ich ganz bewusst: eigentlich zu Ende ist; denn für die sprechende Person ist er noch nicht ganz abgeschlossen; sie ist noch nicht zum Punkt gekommen.

 

Mit ‘genau’ hältst du Rückschau und bestätigst dich selbst.

Mit dem ‚genau‘ wird für einen Moment Rückschau gehalten, ob dem soeben ausgesprochenen Gedanken noch etwas hinzuzufügen ist. Es ist, als würdest du kurz die innere Frage stellen: “Habe ich alles gesagt, was ich zu diesem Thema sagen wollte?”

‚Genau‘ ist die darauf folgende Selbstbestätigung: “Ja, der Gedanke ist abgeschlossen.”

Das passiert der sprechenden Person, wenn Denken & Sprechen so parallel laufen, dass das Ende des Satzes ‘überraschend’ kommt – und der nächste Gedanke noch nicht vorausgeplant wurde.

 

‘Genau’ erwächst aus einem inneren Bedürfnis nach Sicherheit - und vermittelt oft Unsicherheit nach außen.

Für die Sprecherin erfüllt das Wörtchen ‚genau‘ also eine wichtige Funktion: sie kann sich kurz versichern, in der angestrebten Richtung unterwegs zu sein – und dann den nächsten Gedanken aussprechen. ‚Genau‘ ist mit dem Bedürfnis nach Sicherheit beim Sprechen verknüpft. Leider ist die äußere Wirkung aber meist eine andere – und die geht genau in die gegenteilige Richtung. Nach außen vermittelt sich, vor allem bei einer Häufung des Füllsels ‘genau’, Unsicherheit.

Alle Füllwörter, alle ausgesprochenen Sätze, sagen etwas über den oder die dahinterliegenden Gedanken aus. Selbst wenn es nur ist: “Ich brauche noch einen Moment Zeit, um meinen nächsten Punkt klarzukriegen.”

Ich gehe immer davon aus, dass es dabei kein ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ gibt: Gedanken sind einfach Gedanken. Jedes ausgesprochene Wort tut etwas für uns, drückt etwas aus. Auch ‚genau‘ hat, wie oben beschrieben, einen Gedankenursprung, erwächst aus einem inneren Bedürfnis und erfüllt eine Funktion. Insofern: ein gutes, wichtiges Wort.

Kitzelig wird die Sache mit den Füllwörtern immer erst dann, wenn es um die Wirkung nach außen geht. Und da verraten Füllwörter beim Sprechen, und eben auch das Wort ‚genau‘, wenn sie gehäuft auftreten, eine gewisse Unsicherheit, ein Suchen nach (Selbst-)Bestätigung. Ein einzelnes ‚genau‘ wird dabei niemandem auffallen. Doch wenn nach jedem Gedankenbogen ein rückversicherndes ‚genau‘ erklingt, dann wird es bemerkt und kann Kompetenz-mindernd wirken.

 

Ist der Satz nach dem ‘genau’ wirklich abgeschlossen?

Das liegt daran, weil nach einem ‚genau‘ bei den wenigsten Sprecher:innen ein wirklicher Abschluss des Satzes mit einer Stimmsenkung erfolgt. Diese Stimmsenkungen (die Stimme geht hörbar am Ende des Satzes nach unten) sind wichtig, weil sie für die Zuhörer:innen akustisch den Endpunkt des Satzes markieren. Wenn dieses akustische Signal nicht kommt, die Stimme der Sprecherin also immer ‚in der Schwebe‘ bleibt, dann geht auch der Satz gefühlt immer weiter und weiter.

Die Sätze reihen sich dann ohne Punkt und Komma aneinander. Das ist bald für die Zuhörer:innen ebenso ermüdend wie für die sprechende Person. Denn wenn der Satz nie zu Ende ist, können Körper, Stimme und Gedanken nie entspannen und zur Ruhe kommen. Bei einigen Sprecher:innen entsteht dann der Eindruck von Atemlosigkeit.

 

Was du tun kannst, um das Wörtchen ‚genau‘ wegzulassen:

Es gibt verschiedene Möglichkeiten, wie du das Wörtchen ‚genau‘ beim Sprechen loswirst.

Plane deine Sätze, um ohne ‘genau’ zu sprechen.

Eine Möglichkeit ist, deine Sätze genauer zu planen. Und damit meine ich nicht aufschreiben und auswendig lernen! Doch umso genauer du weißt, was du in einem Sprechabschnitt sagen willst, umso flüssiger wirst du den Satz über die Lippen und zu einem Abschluss bringen können. Fertige dir ein Stichwortkonzept an oder strukturiere deine Gedanken nach einem einfachen Schema (Anfang – Argumente im Mittelteil – Schluss).

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Bilde kürzere Sätze.

Eine andere Möglichkeit ist, dass du kürzere Sätze sprichst und sie deutlich mit einer Stimmsenkung (die Stimme geht am Ende des Satzes nach unten) abschließt. Das braucht etwas Übung, vor allem, wenn du anfangs den Unterschied noch nicht hörst.

Hier kann es helfen, zuerst einen Satz aus einem Buch vorzulesen und dabei genau darauf zu achten, wie die Sprechmelodie ist. Ich sage dazu: Üben, den Punkt zu ‚hören‘. Danach legst du das Buch weg und wiederholst den Satz sinngemäß – du paraphrasierst ihn. Vielleicht musst du ihn so etwas umformulieren oder in andere Einheiten aufteilen: In jedem Fall sollte auch hier der Abschluss des Satzes hörbar sein.

Nimm dich mit dem Smartphone auf, um dein Sprechen genauer kennenzulernen.

Hilfreich ist auch, wenn du dich bei einer längeren Sprecheinheit mit dem Smartphone aufnimmst und dir die Aufnahme dann nochmal anhörst: Du wirst sehr schnell heraushören, wie deine Sprechmelodie ist und an welchen Stellen du ein ‚genau‘ anfügst. Mit diesem neuen Bewusstsein kannst du versuchen, beim nächsten Mal achtsamer zu sprechen und die Sprechgewohnheit dadurch verändern.

 

Gib dir Zeit, um neue Sprechgewohnheiten ohne das Füllwort ‘genau’ zu trainieren.

Du hast es dir nicht an einem Tag angewöhnt, deine Gedankenbögen und Sätze mit ‚genau‘ abzuschließen – gib dir also Zeit, um einen anderen Umgang zu trainieren. Sei geduldig und liebevoll mit dir selbst: Wenn du diese Sprechgewohnheit verändern willst, wird es dir mit etwas Training und Bewusstheit auch gelingen. Es lohnt sich: Deine Gedanken und die daraus entstehenden Sätze werden klarer sowie verständlicher und deine äußere Wirkung wird sicherer.