Warum abwertende Kommentare zu Stimme und Sprechweise so reinhauen

 
 

Letztens war ich selbst Teilnehmerin bei einem Stimmseminar und da ging es in einer Übung darum, welche schmerzhaften Kommentare wir schon mal zu unserer Stimme und Sprechweise bekommen hatten. Und wirklich jede Person hatte etwas beizutragen, konnte die verletzenden Bemerkungen aus dem Kopf zitieren: Diese, oft schon sehr alten, Kommentare zu Stimme und Sprechen saßen ziemlich tief und fest.

Ich war aus fachlichem Interesse fasziniert, aber aufgrund der so augenfälligen Verletzungen schockiert: ‚Voice Shaming‘ ist ein riesiges Thema – und vielen von uns war zuerst nicht so recht bewusst, was wir da erlebt hatten … Deswegen widme ich diesen Blogartikel den abwertenden und ungebetenen Kommentaren rund um Stimme und Sprechweise - und was sie in den betroffenen Personen auslösen können.

 

Stimm-Mobbing oder ‘nur ein Kommentar’?

Diese Kommentare zu Stimme und Sprechweise sind oft sehr ‚aus der Situation‘ gesprochen. Manchmal, gerade wenn sie wiederholt geäußert werden, bekommen sie den Charakter eines systematischen Stimm-Mobbings.

Ich führe hier eine Varianz an möglichen Kommentaren zur Stimme und zum Sprechen auf, damit du für dich abgleichen kannst, welche du kennst und an welchen du vielleicht noch immer knabberst, seitdem du sie das erste Mal gehört hast. Denn nur, was wir bewusst erkennen, können wir auch verändern.

Das sind vielleicht Hinweise zur Stimme und zum Sprechen wie:
„Ich kann so nicht verstehen, was du sagst. Sprich langsamer.“
Oder: „Ich kann einfach nicht zuhören, wenn du so sprichst.“
Oder maskierte ‚Fragen‘: „Ich hab nicht ewig Zeit. Kannst du auch ein bisschen schneller sprechen?“

Noch verletzender sind Wertungen: „Deine Stimme ist so nervig und schrill.“
Oder: „Warum klingst du wie ein Roboter? Versuch es mal mit mehr Emotionen.“
Oder: „Du bist total schwer zu verstehen; sprich doch mal wie ein normaler Mensch.“
Oder: “Du klingst total unsicher.”

 

Lauter sprechen, leiser, schneller, langsamer, tiefer, nicht so emotional: Na, wie denn nun?

Die Varianz dieser Kommentare ist riesig: lauter, leiser, tiefer, höher, nicht so schnell, bitte langsamer, mit mehr Artikulation, nicht so nervig überartikuliert, mit mehr Emotionen, nicht so emotional, mit mehr Sicherheit - aber nicht zu selbstbewusst …

Wenn jemand etwas an der Stimme oder Sprechweise einer anderen Person finden will, dann findet sich auch was.

Das Perfide daran ist: Gespräche sind immer ein wechselseitiger Prozess - und natürlich ist es wichtig, von der anderen Person verstanden zu werden. Wer im Versuch, sich ‘verständlich zu machen’ plötzlich durch solch einen Kommentar irritiert wird, kämpft an 2 Fronten: Der inhaltlichen und der beziehungsgestaltenden.

Denn ab dann geht es nicht mehr nur darum, inhaltlich den eigenen Punkt klarzumachen, sondern auch darum, in den Augen der anderen Person zu bestehen, zu genügen, anzukommen. Und wer kann sich wirklich noch aufs Formulieren der eigenen Sichtweisen konzentrieren, wenn plötzlich dieser Gedanke ganz nach vorn ins Gehirn gerutscht ist: “Ich bin nicht gut genug”?

Wer sich mehr mit der eigenen Wirkung in der Sprechsituation beschäftigt, als mit dem Sprechen selbst, öffnet Unsicherheiten die Tür - und manchmal wachsen sie sich zu richtigen Sprechängsten aus …

 

Ungebetene Kommentare zum Sprechen verändern das Sprechverhalten der betroffenen Person.

Diese Art von Kommentaren zur Stimme und Art des Sprechens sind unhöflich, verletzend und diskriminierend – und sie können schwerwiegende Auswirkungen auf das Selbstwertgefühl und das Sprechverhalten der betroffenen Person haben. Vor allem aber sind diese Kommentare oft ein Code für: “Ich halte dich für weniger intelligent oder für weniger wichtig, was du sagst.”

Eine Person, die solche Sachen rund um die eigene Stimme und Sprechweise hört, wird sich in der Folge vielleicht bemühen, schneller zu sprechen, um den eigenen Punkt durchzubekommen. Vielleicht wird die Stimme dadurch immer höher rutschen, was wiederum Unterbrechungen triggern kann …

Sie wird tatsächlich unsicherer sein, weil das Klima im Raum als deutlich destruktiver wahrgenommen wird. Oder sie wird sich das nächste Mal gar nicht mehr zu Wort melden, um der Kritik zu entgehen: Womit wieder eine Person zum Verstummen gebracht wurde …

 

Die tiefe, sonore Stimme als Ideal - die anderen ‘nervig’ und ‘schrill’ …

Sowohl Frauen als auch Männer können von Voice Shaming betroffen sein. Allerdings gibt es Hinweise, dass Frauen im Allgemeinen häufiger von Diskriminierungen aufgrund ihrer Stimme betroffen sind. Noch immer gilt die männliche, tiefe, sonore Stimme als das ‚Ideal‘ und wird mit Kompetenz und Durchsetzungsstärke assoziiert.

Frauen haben oft, schon allein physiologisch bedingt, höhere Stimmen als Männer. Diese werden dann als ‚schrill‘ oder ‚nervig‘ kategorisiert und offen kritisiert: Ein sehr schneller Weg, um die so attribuierte Frau zum Verstummen zu bringen.

Ebenso existieren noch viele stereotype Vorstellungen darüber, wie eine Frau klingen (und oft auch, was sie sagen) sollte, die dazu führen können, dass sie wegen ihrer Stimme diskriminiert wird. Die Stimme und Sprechweise wirken dabei wie eine Verlängerung des (weiblichen) Körpers: Wenn man sich darauf fokussiert, muss man sich weniger mit den Worten und Taten auseinandersetzen - sondern hat etwas anderes ins Zentrum der Aufmerksamkeit gerückt.

 

Diskriminierung aufgrund von Stimmklang, Stimmlage oder Sprechweise

‚Voice Shaming‘ ist also eine ernstzunehmende Form des Mobbings oder der Diskriminierung, bei der eine Person aufgrund ihres Stimmklangs, der Stimmlage oder ihrer Art zu sprechen beleidigt oder herabgesetzt wird.

Auch Menschen mit einem Akzent oder einer Sprechstörung erleben häufig Voice Shaming: In der betreffenden Situation ist es verletzend; und in jeder nachfolgenden Sprechsituation kann es dazu führen, dass sich Menschen unwohl oder unsicher fühlen, wenn sie sprechen.

Oft ensteht Voice Shaming wohl aus Ignoranz oder Unwissenheit: Menschen treffen aufgrund von Stereotypen oder Vorurteilen unreflektierte Annahmen darüber, welche Sprechweisen ‚richtig‘ oder ‚falsch‘ sind. Doch ebenso wird Voice Shaming auch strategisch eingesetzt, um sich im Gespräch oder im Meinungskampf kurzfristig einen Vorteil zu verschaffen.

 

Voice Shaming ist nicht akzeptabel.

Es kann auch sein, dass die beschämende Person einfach Macht ausüben möchte: Dann entscheidet sie sich dafür, eine vermeintliche ‚Schwäche‘, wie eine besondere Stimme oder ein Sprechverhalten zu nutzen, um andere herabzusetzen.

Doch Voice Shaming ist niemals akzeptabel und es gibt keine Rechtfertigung dafür, andere wegen ihrer Stimme oder Sprechweise zu diskriminieren.

 

Kritik an Stimme und Sprechweise ist schmerzhaft.

Stimme und Sprechweise sind Teil der Identität und unseres Selbstbildes. Wenn jemand diese Eigenschaften kritisiert oder diffamiert, kann der Eindruck entstehen, als ganze Person abgelehnt und nicht akzeptiert zu werden. Zumal etwas, was so eng mit der Identität verknüpft ist wie die eigene Stimme, eben nicht mal schnell geändert werden kann.

Eine Verletzung äußert sich durch die hervorgerufenen Emotionen dann deutlich in der Stimme der geschmähten Person: Oft dadurch, dass sie nicht mehr gehorcht, zu zittern beginnt oder noch mehr ihre Klangfarbe verändert. Durch die Stimme werden Gefühle transportiert: So lässt sich heraushören, wo jemand unsicher und verletzlich wird – was den Eindruck noch verstärken kann, in der eigenen Schwäche bloßgestellt zu werden.

 

Stimme und Art zu sprechen sind Teil des Selbstbildes.

Die Stimme und das Sprechen sind oft Ergebnis eingeschliffener Gewohnheiten und Verhaltensweisen. Das wissen alle Menschen, die schon mal versucht haben, sich ein Ähm‘ in den Denkpausen oder das ewige ‚Genau‘ am Ende eines Sprechabschnitts abzutrainieren.

Körperhaltung, Atemrhythmus, soziales Umfeld und vieles mehr: Die daraus resultierenden Sprechgewohnheiten zu verändern, kann sehr schwierig wirken und Betroffene ratlos zurücklassen. Denn: Wo beginnen, wenn etwas so sehr zu einem selbst gehört?

Schließlich haut Kritik an der Stimme und an der Sprechweise dort rein, wo sich sehr viele Menschen sowieso schon negativ oder extrem selbstkritisch beurteilen. Vielleicht hast du dir schon mal eine Sprachnachricht von dir selbst nochmal angehört und dir gedacht: „So klinge ich? Echt?“

 

Negative Beurteilung der eigenen Stimme

Fast niemand mag es, die eigene Stimme ‚von außen‘ zu hören – zu fremd klingt sie, wenn plötzlich das innere Hören über die eigenen Resonanzräume wegfällt. Negative Beurteilung der Stimme von anderen fällt oftmals auf fruchtbaren Boden und bestätigt unbewusst etwas, was wir an uns selbst kritisieren oder seltsam finden.

Aber ganz klar gesagt: Die negative Selbstbewertung der eigenen Stimme ist natürlich ebenso wenig wahr wie die beschämende Wertung von anderen.

 

Was du gegen Voice Shaming tun kannst:

1.      Sensibilisiere dein Umfeld für stimmliches Mobbing:

Der erste Schritt ist, Bewusstsein für dieses Problem zu schaffen. Sprich im vertrauten Rahmen mit Freund:innen und Familie darüber. Führe Gespräche darüber, wie es ist, aufgrund der Stimme oder des Sprechverhaltens beleidigt oder diskriminiert zu werden. Das kann Verständnis fördern, Unterstützung und Kraft geben.

2.    Stärke dein Selbstwertgefühl:

Du bist wichtig und wertvoll. Egal, wie du sprichst oder wie deine Stimme klingt. Mach dir bewusst, dass Stimme und Sprechweise auch Teil deiner Identität sind – und dich besonders machen.

3.    Organisiere professionelle Hilfe:

In schweren Fällen von Voice Shaming oder Mobbing ist es sinnvoll, wenn du dir professionelle Hilfe suchst. Eine Beratung oder psychotherapeutische Unterstützung können dazu beitragen, mit den emotionalen Auswirkungen besser umzugehen.

Um die eigene Stimme und Sprechweise weiterzuentwickeln, profitierst du sicher von einem Stimm- und Sprechtraining. Dabei lernst du Stimme und deine Art zu sprechen ganz neu kennen und zu gestalten: Das gibt wiederum viel Selbstbewusstsein und Selbstwirksamkeit.

4.    Diskriminierung nicht tolerieren:

Wenn du Zeug:in von Voice shaming wirst, setze dich dagegen ein. Sag klar und deutlich, dass dieses Verhalten nicht akzeptabel ist: Alle Sprechweisen, alle Akzente und alle Stimmlagen sollten respektiert werden. Setze klare Grenzen und unterstütze die von Voice Shaming betroffene Person.
Wenn also eine Person zu einer anderen sagt: „Wenn du so rumpiepst wie eine Maus, höre ich gar nichts“, dann geh dazwischen und sag etwa: „Das ist ein unangebrachter Kommentar und ich möchte nicht, dass wir hier so miteinander umgehen. Zuhören ist eine Frage der Haltung.“

Ebenso kann es helfen, auch Mädchen und Frauen* in gemischten Gruppen zum Sprechen zu ermuntern und mit einzuplanen, dass es manchmal mehrere Ermutigungen braucht. Klare Gesprächsregeln zu vereinbaren und auch durchzusetzen, kann ebenfalls sehr wirkungsvoll sein.

 

Negative Kommentare zur Stimme haben mit Feedback nichts zu tun.

Verletzende Kommentare zu Stimme und Sprechweise sind nicht okay, sind keine konstruktive Kommunikation und haben mit Feedback nichts zu tun. Prinzipiell gilt: Um Feedback wird gebeten. Plötzlich geäußerte Kommentare zu deiner Stimme und Sprechweise, die ungefragt geschehen und ganz klar nicht einem Suchen nach ‘mehr Verständigung’ entspringen, sondern das Gegenteil bewirken, haben mit erwünschter Rückmeldung nichts zu tun. Weder bei dir selbst noch bei anderen musst du hinnehmen, wenn Stimme und Sprechweise abgewertet werden.

Natürlich können Stimmklang und die persönliche Art zu sprechen immer entwickelt und verändert werden. Doch das sollte aus Freude, aus Interesse und aus der Lust am Entdecken des eigenen Klangs geschehen – und nicht aus einer defizitären Perspektive von außen.

Und wer die Stimmen anderer schmäht, um sie zum Schweigen zu bringen, bekommt in Zukunft eine klare Ansage!