12 tolle Romane, die mich 2023 begleitet haben

 
 

Meine Lieblingsstrategie, um von der Welt abzuschalten und innerlich aufzutanken, ist Lesen. Romane lesen. Ich kann sagen: Das war schon immer so. Doch in den letzten Jahren, zwischen Arbeit, Familie und Weltlage, haben Bücher nochmal eine besondere Bedeutung für mich bekommen.

Ich merke deutlich den Unterschied zwischen Zeiten, wenn ich einen fesselnden Roman lese - und denen, wenn ich einen beendet habe und zwischenzeitlich ‘buchlos’ bin. Bisschen verloren fühle ich mich da manchmal. Umso besser, dass 2023 wirklich viele gute Romane auf meinem Nachttisch lagen und mich durchs Jahr begleitet haben. Einige davon stelle ich dir hier vor. Geordnet sind sie übrigens nach Lese-Chronologie, nicht nach Highlight-Faktor. Wenn ich eine Rangliste erstellen sollte, dann diese:

Am meisten berührt hat mich ‘Shuggie Bain’.
Am meisten innerlich abgründig gegruselt hab ich mich bei ‘Und es schmilzt’.
Am meisten gelacht, geheult und gefeiert habe ich bei ‘Mon Chérie und unsere demolierten Seelen’.

Übrigens sind alle Bücher verlinkt: Du kannst sie bei buch7, einem sozialen Buchhandel, bestellen - und ich bekomme dafür eine minimale Provision.

Vielleicht ist auch für dich was dabei. Viel Freude beim Lesen.


Türwächter:innen der Freiheit

Maike Plath

Auf Maike Plath und ihr ‘Veto-Prinzip’ bin ich über einen Workshop Anfang Januar 2023 aufmerksam geworden, bei dem unter anderem Aspekte ihres Konzepts (von anderen Trainerinnen, nicht von ihr selbst) vermittelt wurden. Danach waren noch viele Fragen offen - und so habe ich angefangen, das frei verfügbare Hörbuch von ‘Türwächter:innen der Freiheit’ anzuhören. Und was soll ich sagen: Es hat mich sowas von ‘gekriegt’. Da habe ich mir dann auch gleich das gebundene Buch besorgt - und dann abwechselnd gehört und gelesen.

‘Türwächter:innen der Freiheit’ ist ein ‘Dokufiktionsroman’, beruht also auf fiktionalisierten wahren Ereignissen - und wunderbares Storytelling: Maike Plath erzählt darin von ihrem Weg als Lehrerin. Zuerst in ‘Büllerbü’, einer idealtypischen Schule in einer norddeutschen Kleinstadt - und dann an einer Hauptschule in Berlin, Neukölln, an der plötzlich alle ihre bisherigen pädagogischen Konzepte nicht funktioniert haben.

Sie fängt an, anders mit den Schüler:innen zu arbeiten, ihnen wirklich auf Augenhöhe zu begegnen, sie zu empowern und z.B. durchs Theaterspielen endlich ‘für sich selbst’ sprechen zu lassen. Sie verzweifelt und scheitert am System Schule, rappelt sich wieder auf, findet viele Unterstützer:innen und arbeitet kontinuierlich daran weiter, ihre Vision von einem besseren, gerechten Zusammenleben in die Welt zu bringen.

Dieses Buch hat mich sehr bewegt, zum Nachdenken gebracht über meine eigenen Vorurteile, meinen Status und meine Privilegien. Und darüber, in welcher Welt ich wirklich leben will. Indem Maike Plath ihren Weg so offen, klug und sehr humorvoll beschreibt, inspiriert sie dazu, die eigenen Muster und Vorannahmen ebenfalls in Frage zu stellen - und die gewünschte Veränderung selbst weiter voranzutreiben. Ich war jedenfalls danach so überzeugt, dass ich mich entschlossen habe, ihren Verein ‘ACT e.V.’ als Fördermitglied aktiv zu unterstützen - und ich freue mich schon auf die Gelegenheit, Maike Plath bei einem Workshop mal live zu erleben.

Türwächter:innen der Freiheit, Maike Plath, 2021

 

Mon Chérie und unsere demolierten Seelen

Verena Rossbacher

Ich war skeptisch, als mir meine Schwester dieses Buch schenkte. Die Beschreibungen auf dem Umschlag klangen nach einem Buch, das ich mir in der Buchhandlung wahrscheinlich niemals selbst ausgesucht hätte. Aber nun lag es schon mal da - und ich habe es also gelesen. Und was soll ich sagen: Ich hab es geliebt!

Die Ich-Erzählerin Charly Benz ist etwas über 40, arbeitet bei einer Berliner Foodcompany und leidet unter Postangst. Das und ihre Beziehungsprobleme (sie hat keine), bespricht sie mit dem 60-jährigen Herrn Schabowski, ihrem einzigen Freund. Doch dann erhält Schabowski eine tödliche Diagnose, Charly hat plötzlich was mit 3 Typen gleichzeitig, wird unverhofft schwanger und erbt mit ihren 4 Geschwistern zusammen ein Hotel in Bad Gastein. Dahin setzt sie sich mit Schabowski ab, als ihnen in Berlin alles zuviel wird …

Die Figuren sind wahnsinnig schräg, ab und zu hab ich mir gedacht: “Echt jetzt ?” Doch sie sind so liebenswert in ihrer Verschrobenheit, wunderbar erzählt. Ich habe bei diesem Buch mehrfach schallend gelacht, ganze Seiten lang, sodass abwechselnd mein Mann und mein Sohn nach mir sehen kamen. Ich habe gegen Ende minutenlang Rotz und Wasser geheult und wollte nicht, dass dieses Buch aufhört. Wenn ich jetzt an das Buch zurückdenke, habe ich ganz viele klare Filmbilder im Kopf, viel Musik, Gerüche - es ist bei all seiner Schrägheit unheimlich plastisch und sinnlich.

Und die Sprache! Wie die Ich-Erzählerin nach Worten sucht, etwas verwirft, Vergleiche bringt, zwischen Assoziationen hin- und herspringt: Ich mochte es; sehr. Selten etwas gelesen, was so gut unterschiedliche Humorstufen, das Leichtfüßige, das Tragisch-Tiefgründige ausbalanciert und miteinander verwoben hat. Sehr sehr schön.
Und übrigens: Österreichischer Buchpreis 2022.

Mon Chérie und unsere demolierten Seelen, Verena Rossbacher, Kiepenheuer & Witsch, 2022

 

Eine Frage der Chemie

Bonnie Garmus

Noch ein geschenktes Buch; diesmal von einer meiner engsten Freundinnen: Ich lese ja brav das, was mir empfohlen wird. Und bei diesem Buch hab ich mal wieder Schnellsttempo vorgelegt, so sehr hat es mich reingezogen.

Elizabeth Zott ist Wissenschaftlerin, Chemikerin - aber Ende der Fünfziger ist das keine leichte Sache: Frauen in der Wissenschaft sind einfach nicht vorgesehen. Als sie dann noch alleinerziehende Mutter wird, muss sie neue Wege gehen, um ihre Rechnungen zu bezahlen und wird zum Star einer beliebten Kochshow. Dort bringt sie den Frauen Amerikas nicht nur das Kochen (und alle damit einhergehenden chemischen Grundlagen) bei, sondern fordert sie auch auf, ihr Leben in die eigene Hand zu nehmen (studieren! schreiben! gegen Unrecht und Bevormundung aufstehen!).

In Elizabeth Zott habe ich mich sofort verliebt: in ihre Fähigkeit, klar zu denken, die Dinge auf den Punkt zu bringen und in ihre Begeisterung für ihre Arbeit. Noch nie ist mir Chemie so spannend erschienen wie bei der Lektüre dieses Buches. Noch mehr verschossen hab ich mich nur in ihren Hund mit Namen Halbsieben, eine treue und intelligente Seele, der immer mehr Wörter lernt, nur ein einziges Mal ‘versagt’ und auf die ganze Familie aufpasst: Wer so über einen Hund schreiben kann, hat sicher Hunde im eigenen Leben (sagt wiederum der Hundemensch in mir).

Außerdem ist das Buch eine schmerzende Erinnerung daran, dass es gar nicht so lange her ist, dass Frauen vor allem Hausfrauen und Mütter waren, dass Promotionsvorhaben scheitern konnten, weil frau eher vom Betreuer vergewaltigt wurde als unterstützt, dass Frauen nicht über ihr eigenes Geld verfügen konnten, beim Beantragen der Geburtsurkunde des Kindes vor allem Daten des Ehemannes abgefragt wurden, lohnarbeitende Frauen eine Rarität waren und deutlich weniger verdienten als ihre männlichen, oft minderbegabten Kollegen. Das alles hat mich auch dankbar und demütig gestimmt: Wir stehen auf den Schultern von Riesinnen, die für uns gekämpft haben - und der Kampf ist noch nicht vorbei …

“Kurz gesagt: Frauen Männern unterzuordnen und Männer Frauen überzuordnen ist nicht biologisch: Es ist kulturell. Und das alles fängt mit 2 Wörtern an: rosa und blau. Ab da geht alles unaufhaltsam den Bach runter.”

Ein wunderbares, kluges, so tiefgründiges wie humorvolles Buch. Unbedingt lesen.

Eine Frage der Chemie, Bonnie Garmus, Piper, 2022

 

So forsch, so furchtlos

Andrea Abreu

Ein Buch über eine ganz besondere Freundschaft zwischen 2 Mädchen auf Teneriffa: Es ist Sommer, brütend heiß und die beiden kämpfen miteinander gegen die Langeweile, weil niemand Zeit hat, sie an den Strand zu fahren. Sie erbrechen Süßigkeiten, um schlank zu bleiben, spielen im einen Augenblick mit Barbies und entdecken im nächsten lustvoll die eigenen Körper. Während die Sommerferien ihrem Ende zugehen, spitzt sich die Stimmung zwischen den beiden immer mehr zu …

Auf knapp 180 Seiten ist die äußere Hitze, die aufgeheizte Stimmung zwischen den Mädchen, ständig zu spüren; mit allen Emotionen und sehr körperlich beschrieben. Richtig ‘gekriegt’ hat mich das Buch erst auf den letzten Seiten - davor hatte ich immer wieder auch den Gedanken: ‘Zum Glück liegt die Pubertät schon hinter mir …’ Ich glaube, was ich mit am meisten mochte, ist, dass mit Isora ein Mädchen, das nicht den klassischen Schönheitsstandards entspricht, sondern ziemlich dick ist und sich ständig die Unterhose aus der Poritze pult, als die erotische Fantasie der Ich-Erzählerin erscheint. Krasse Sprache, plastische Bilder, die vor Sommerhitze und körperlichen Ausdünstungen nur so flirren. Ein sehr eigener Trip.

So forsch, so furchtlos, Andrea Abreu, Kiepenheuer & Witsch, 2022

 

Die Ambassadorin

Sebastian Janata

Hugo Navratil fährt von Berlin aus zurück in die burgenländische Provinz, weil sein Zieh-Opa Beppo gestorben ist. Auf der Beerdigung fallen ihm zwei Frauen auf: Sie sind auf der Suche nach einer uralten Flinte - und sie sind überzeugt, dass Hugo weiß, wo sie ist. Während er nach ihr sucht, erinnert er sich an die Zeit mit seinem Großvater, trauert um ihn - und setzt die Bruchstücke dessen Lebens neu zusammen.

Das hab ich sehr gern gelesen: Zum einen, weil es wie ein Kurzurlaub in meine österreichische Heimat war. Zum anderen, weil ich den Humor und die vielen spannenden Wendungen des Buches sehr genossen habe. Das Buch ist ein ‘feministischer Heimatroman’, kombiniert mit einem Krimi und einer Geschichte übers Abschied-Nehmen. Es wird viel gesoffen, die Gelsen stechen, die burgenländische Nacht ist schwül. Wirklich schön!

Die Ambassadorin, Sebastian Janata, rororo, 2021

 

Zwischen Welten

Juli Zeh & Simon Urban

Da ich seit Jahren manisch alle Bücher von Juli Zeh verschlinge, also auch dieses. Ein moderner Briefroman: hier wird per Mail und WhatsApp kommuniziert. Theresa und Stefan haben vor 20 Jahren in einer WG zusammengelebt und als sie sich in Hamburg zufällig wieder über den Weg laufen, könnten ihre Leben gerade unterschiedlicher nicht sein. Er ist bei einer großen Wochenzeitung in der Chefredaktion, sie lebt als Milchbäuerin irgendwo in Brandenburg. Sie erzählen sich über ihre Leben und kommen bald auf Klimawandel, Rassismus und Gendersprache: Sehr unterschiedliche Haltungen in fast allem. Die Frage: Können Freundschaft und Liebe die Kluft überbrücken?

Liest sich zwar flüssig weg, trotz der gewöhnungsbedürftigen Form. Wirkt jedoch manchmal gewaltig konstruiert in den Extrempositionen, die es aufzeigen will. Oder eher: In dem, dass die beiden trotz aller Gegensätze noch miteinander reden … Da muss dann eine sehr große, aber einseitige ‘Liebesgeschichte’ entworfen werden, um die Korrespondenz weiterlaufen zu lassen. Ich bin gespalten, was das Buch angeht: Ich hab’s schnell gelesen und schätze Zehs Schreibstil sehr - und war doch immer seltsam genervt von fast allem: den Figuren, die beide irgendwie distanziert und mir unsympathisch bleiben trotz meiner Nase in ihren Mails, ihrem Einander-Schreiben, dem Herumwühlen in Vergangenheit und Gegenwart, dem selbstmitleidigen Verzweifeln am Leben und den Umständen. Aber vielleicht ist das ja grad der Punkt.

Zwischen Welten, Juli Zeh & Simon Urban, Luchterhand, 2023

 

Tyll

Daniel Kehlmann

Tyll Ulenspiegel zieht in Kehlmanns Roman durch die Wirren des Dreißigjährigen Krieges: In verschiedenen Episoden setzt sich, immer durch Tyll verbunden, das Bild dieser Zeit zusammen. Dabei ist Tyll oft nicht die ‘Hauptfigur’ der einzelnen Kapitel, sondern man muss regelrecht auf ihn warten, bis er sich wieder zeigt, bis er in dem jeweiligen Handlungsstrang auftaucht. Und ich muss sagen: Ich hab gern auf ihn gewartet - ihn beim Seiltanzen, Jonglieren, Bauchreden bestaunt und zugesehen, wie er den einfachen und den ‘hochwohlgeborenen’ Menschen um ihn herum den berühmten Spiegel vorhält.

Wenn man alle Episoden gelesen hat, setzt sich langsam ein Zeitstrang zusammen, quasi aus der Vogelperspektive. Mein liebstes Kapitel ist das erste, ‘Schuhe’. Schöne Sprache, plastische Bilder.

Tyll, Daniel Kehlmann, Rowohlt, 2017

 

Gott wohnt im Wedding

Regina Scheer

Seit einigen Jahren, so kommt es mir vor, reden in Berlin fast alle Leute übers Wohnen und Wohnungen-Finden. Klar, in einer Stadt, in der Wohnraum immer knapper wird und der Wohnungsmarkt hart umkämpft ist. In Regina Scheers Buch spielt ein Mietshaus im Wedding die Hauptrolle - und kommt sogar selbst zu Wort. Über ein Jahrhundert spannt sich die Geschichte des Hauses: Regina Scheer schreibt damit auch die Geschichte eines Viertels - und seiner Bewohner:innen. Wir begegnen Gertrud Romberg, einer Frau, die ihr gesamtes Leben in diesem Haus verbracht hat. Laila Fiedler, einer Sintiza, die sich um ihre Roma-Nachbar:innen in dem Haus kümmert und sie zu Amtsterminen begleitet. Und Leo Lehmann, der im Wedding geboren wurde und als U-Boot in der Nazi-Zeit auch von Getrud versteckt wurde und als alter Mann nach Berlin zurückkehrt …

Die verschiedenen Stränge der Geschichte greifen spannend ineinander und immer ist da dieses alte Haus, als Zentrums-Punkt. Ich habe dieses Buch nicht flüssig durchgelesen, sondern oft über Tage und Wochen weggelegt. Erst gegen Ende hat es einen gewissen Zug für mich entwickelt, als ich einen immer genaueren Überblick über all die Verbindungen zwischen den Figuren hatte. Dann war ich jedoch richtiggehend traurig, als ich ihre Geschichten verlassen musste. Ein Buch, das einen so liebevollen wie genauen Blick auf Berlin-Wedding und seine marginalisierten Minderheiten wirft.

Gott wohnt im Wedding, Regina Scheer, Penguin Verlag, 2019

 

Shuggie Bain

Douglas Sherman

Es zieht mir noch immer seltsam das Herz zusammen, wenn ich an den Helden dieses Buches denke: So gerne würde ich ihn in den Arm nehmen - und so sehr bewundere ich auch, bei allen Widrigkeiten, seine Widerstandskraft.

Shuggie Bain erzählt von dem Aufwachsen in einer Arbeiterfamilie in den 80er-Jahren in Glasgow, voll Tristesse und überwölkt von Kohlenstaub. Shuggie wächst in einer sogenannten dysfunktionalen Familie auf: Die Mutter ist schwere Alkoholikerin und vom Vater, der sich alsbald abseilt, ist keine Liebe, keine Unterstützung zu erwarten.

Umso mehr konzentriert sich Shuggies Liebe auf seine Mutter Agnes. Es ist zum Verzweifeln, wie sie immer wieder versucht, ihr Leben in den Griff zu bekommen - und wie sie aufs Neue scheitert. So hart das Buch immer wieder ist, so sehr ist die Hoffnung auf ein anderes Leben eingewoben - und dass es gelingen kann.

Ganz besondere Empfehlung.

Shuggie Bain, Douglas Stuart, 2021, Carl Hanser Verlag

 

Dunkelgrün fast schwarz

Mareike Fallwickl

Dieses Buch erzählt von einer Freundschaft in all ihren Facetten. Raffael und Moritz sind seit ihrer frühesten Kindheit befreundet - und wie in jeder Beziehung gibt es auch in ihrer ganz besondere Dynamiken. Raffael geht selbstsicher voran - und Moritz folgt oder deckt ihn, wenn wieder mal etwas schief gegangen ist oder jemand verletzt wurde. Hinter Raffaels einnehmender Fassade lauert etwas Zerstörerisches, das vor allem Moritz’ Mutter große Sorgen bereitet. Als die beiden Teenager werden und sich eine Dritte zu ihrem besonderen Bund dazugesellt, wird aus dem Tandem ein Dreieck.

16 Jahre später begegnen sich die drei wieder - und alles, was so lange unausgesprochen war, bricht sich plötzlich Bahn und die Vergangenheit kommt mit voller Wucht zurück.

Dieses Buch hat ein ganz besonderes Tempo, einen beißenden Witz und spannende Figuren, denen man nahekommen und genau beobachten will. Ich hab es ganz schnell und atemlos durchgelesen - und auch jetzt, wenn ich daran zurückdenke, pulsieren die Bilder dieser Freundschaft noch immer in mir. Sehr plastisch, liebevoll, abgründig. Gute Kombination.

Dunkelgrün fast schwarz, Mareike Fallwickl, Frankfurter Verlangsanstalt, 2018

 

Und es schmilzt

Lize Spit

Gleich noch ein Buch über ‘Freundschaft’, auch wieder eine Dreiecksgeschichte. Zwei Jungs und ein Mädchen, ein endloser Sommer, in dem die freie Zeit irgendwie gefüllt werden will - und ein Spiel, das eine böse Eigendynamik entwickelt. Und auch hier: Jahre später dann ein Moment, der das Ganze ‘abrundet’.

Mit diesem Buch hab ich mir anfangs schwer getan, weil dieser Sommer eben so endlos ist und die Ereignisse erst ganz langsam Fahrt aufnehmen. Doch dann umso mehr! Bei vielen Büchern vergesse ich die Storyline nach einiger Zeit; hier könnte ich sie noch Monate nachher genau nacherzählen, so plastisch ist das alles beschrieben - und so sehr hat sich das Grauen in mein Hirn gebrannt.

Das ist kein angenehmes, schönes Buch. Und anders als ‘Dunkelgrün fast schwarz’ hat es auch nichts Liebevolles in der Betrachtung der Figuren - aber es ist ein wirklich fantastisch erzähltes, abgründiges Buch. Ein Buch für alle, die auch mal gerne in der Dunkelheit wühlen - und sich für besondere menschliche Handlungsdynamiken interessieren. Es packt mich immer noch, wenn ich daran zurückdenke.

Und es schmilzt, Lize Spit, Fischer Taschenbuch, 2018

 

Miroloi

Karen Köhler

Auf einer Insel, die fast vollständig von der Außenwelt abgeschnitten ist, haben Männer das Sagen und Frauen dürfen nicht Lesen lernen. Auf allem lasten Traditionen und heilige Gesetze, die jedoch von den Männern ‘weiterentwickelt’ werden, wie es ihnen passt - was zu noch mehr Repressionen für die Frauen führt. Hier lebt die Ich-Erzählerin, die als Findelkind auf die Insel kam und im Haus des Priesters aufwuchs. Nach und nach stellt sie sich gegen die Regeln: sie lernt lesen, sie verliebt sich - und sie erfährt, wer wirklich zu ihr steht. Als sie sich schließlich rächt, bleibt kein Stein auf dem anderen.

Bei diesem Buch kann man der Heldin wirklich beim Wachsen zusehen: Wie sie immer mehr versteht, ihre Welt größer wird, sich ihre Sprache und ihr Denken verändern - und damit auch das, was sie als ‘normal’ zu akzeptieren bereit ist. Sie fängt an, Fragen zu stellen - und sich nach der Freiheit zu sehnen. Es wird begreiflich, wie sehr Bildung und Emanzipation sich beeinflussen. Auf eine seltsame, schmerzhafte Art ist dieser Roman zeitlos - und ich habe die Erzählerin auf jeder Seite mehr angefeuert: Go, Girl, go! Zart und knallhart zugleich.

Miroloi, Karen Köhler, Hanser, 2019